Oft merken wir gar nicht, wie gut wir im Alltag „funktionieren“. Ständig sind wir dabei, etwas schnell und nahezu perfekt zu erledigen, oftmals auch viele Dinge gleichzeitig: Neben den Herausforderungen im Job sowie den Aufgaben in der Familie oder im Haushalt sind wir damit beschäftigt, Freundschaften und soziale Kontakte zu pflegen. Auch der Selbstoptimierungswahn – wie können wir schöner, schlanker und erfolgreicher werden –, sowie unsere Selbstvermarktung in den sozialen Medien gehören inzwischen zum Alltag eines jeden Menschen.
Was passiert jedoch, wenn wir plötzlich merken, dass wir nur „funktionieren“. Eine neue Situation, zum Beispiel der Bus, der in unserem Urlaubsland nicht pünktlich kommt, so wie wir daran gewohnt sind, zeigt uns, wie wir mit einer neuen, ungewohnten Situation sehr schnell überfordert sind. Die Strukturen unseres festgefahrenen und kontrollierten Lebens werden somit leicht durchbrochen. Wir werden daher unsicher und spüren Stress.
Funktionieren ist manchmal dysfunktional
Das „Funktionieren“ in unserer Gesellschaft hat zur Folge, dass wir ständig körperlich wie geistig beschäftigt sind. Noch schlimmer ist jedoch das Gefühl nicht genug geschafft zu haben. Nahezu alles, was wir jeden Tag aufs Neue auf unserer To-Do-Liste abgehakt wissen wollen, setzt uns unter einen enormen Druck, der oft sogar erst einmal unbemerkt bleibt. Ist es heute wichtiger, die Kaffeemaschine zu reparieren oder mit Freunden ins Kino zu gehen? Was ist wichtiger und was ist dringender? Um diese und ähnliche Fragen für uns zu beantworten, brauchen wir einen kühlen Kopf. Dies wiederum ist leichter gesagt als getan…Denn die Unruhe des Alltags nimmt sogar nachts im Bett nicht ab.
Selbst der Schlaf wird beeinträchtigt
Eine Studie hat gezeigt, dass wir lieber Schlafstörungen bekommen als das schädliche blaue Licht der Smartphones und Tablets vom Bett fernzuhalten. Permanent werden wir von (Horror-)Informationen auf verschiedenen Kommunikationskanälen überrollt und unaufhörlich sind wir dabei zu filtern, welche davon für uns wichtig und interessant sind, welche davon lebensnotwendig oder welche uns egal sind…Nochmal fix die News checken: ISIS, Syrienkrieg, AfD, Türkei, Russland, Flüchtlinge… Das sind ja tolle Gute-Nacht-Geschichten.
Multitasking überfordert das Gehirn
Genauso belastend für uns ist das ständige Multitasking. Am besten machen wir alles auf einmal. Eine „normale“ Straßenbahnfahrt sieht heute ungefähr so aus: Kopfhörer auf den Ohren, Smartphone vor den Augen, News auf allen aktiven Social-Apps checken und schreiben, Bagel in der Hand. Und da ist noch die Menschenmasse, die einen im Berufsverkehr beinah zerdrückt. Dieses Multitasking kann groteske Züge annehmen und ist für unser Gehirn eine klare Überforderung: Stets mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausführen kostet uns deutlich mehr Energie. Gegen eine ständige Reizüberflutung sind wir nicht gewappnet. Tun wir so, als ob wir multitasking wären, laufen wir Gefahr, schnell erschöpft zu werden. Besser ist es, wir bleiben bei einer Aktivität. Unser Hirn ist nämlich darauf ausgelegt, sich auf eine Sache zu konzentrieren, wie in diesem Artikel zu lesen ist.
Wahrnehmung von Zeit
Aber warum stehen wir auf Multitasking? Eine Erklärung dafür ist die Wahrnehmung von Zeit, die je nach Phase und Gesellschaft variiert. In Deutschland nehmen wir Zeit so wahr, dass sie ganz genau getaktet ist: Rund acht Stunden verbringen die meisten von uns im Job, eine halbe bis ganze Stunde brauchen wir für unsere Mittagspause, genau so viel wie für die Hinfahrt zur Arbeit und zurück. Dann womöglich Fitnessstudio, Feierabendbier, Kino & Co.?
Diese Auffassung von Zeit ist keineswegs natürlich. Ältere Kulturen hatten den Bezug zur Zeit über den Rhythmus, den beispielsweise die Landwirtschaft mit sich brachte. Die ersten Zeitmessgeräte waren deshalb auch keine exakten Uhren, sondern Sonnenuhren, die je nach Jahreszeit verschiedene Angaben zeigten.
Heutzutage teilen wir unsere Zeit nur noch in verschiedene Aufgaben ein: Jede freie Minute wird verplant, die Freizeit wird gnadenlos terminiert und optimiert. Dieses Verständnis von „gesellschaftlicher Zeit“ führt auch dazu, dass wir kaum zwischen Arbeit und Freizeit trennen können.
Selbstwertgefühl hängt vom Lebenslauf ab?
Die Beschleunigung im Leben und das Multitasking sind heute zentrale Themen in zahlreichen Medien, online sowie offline. Diese suggerieren einem, wie wichtig es ist, jeden Tag „abzuliefern“. Höher, schneller, weiter – diese Devise hat sich längst in unserer Leistungsgesellschaft fest etabliert. Unter dem Einfluss dieses Mottos stehen wir stets unter Druck, so viel wie möglich zu tun und zu leisten. Denn ohne Fleiß gibt es bekanntlich keinen Preis. In diesem Zusammenhang bringt Leistung die Anerkennung der Gesellschaft mit sich. Und gesellschaftliche Anerkennung bedeutet für die meisten von uns mehr Selbstvertrauen.
Wir wollen einen lückenlosen Lebenslauf – und am besten auch einen spannenden Tagesplan – vorzeigen können, denn das hilft, uns besser zu fühlen. Wenn aber etwas dabei schief geht, kommen wir uns wie Versager vor. Wir sind traurig und verletzt, weil etwas nicht funktioniert hat. Wie wichtig ist überhaupt das „Funktionieren“ in diesem Kontext? Wie produktiv ist es, unsere ohnehin sensible Seite noch mehr unter Druck zu setzen? Was kann uns helfen, ausgeglichener sogar dadurch glücklicher zu leben? Nehmen wir uns viel zu viel vor, sind wir irgendwann enttäuscht, sollten alle Ziele nicht in einer knappen Zeit erreicht werden. Wie wäre es damit, wenn wir uns demnächst doch etwas weniger vornehmen und einige Dinge einfach geschehen lassen?
Veränderung von innen
Die innere Grundhaltung hilft, dem Stress entgegenzuwirken. Dabei geht es um eine innere Distanz: Wir gehen bewusst ein paar Schritte zurück sobald wir merken, dass wir überfordert sind. Diese Distanz kann erlernt werden und laut einem Leitspruch aus dem Hatha-Yoga-Pradipika spielt dabei der Atem eine zentrale Rolle: „Wenn der Atem ungleichmäßig ist, dann ist der Geist unruhig, aber wenn der Atem still ist, ist auch der Geist still und der Yogi bekommt die Kraft der Stille.“ Das Sutra kann im übertragenen Sinn so verstanden werden, mit mehr Gelassenheit durch den Alltag zu gehen. Doch auch im wörtlichen Sinne kann sich lohnen, auf den eigenen Atem zu hören. Wer achtsam gegenüber sich selbst ist, wird merken, dass unsere Atmung in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich ist: Bei Überraschungen stockt zum Beispiel der Atem, er wird schneller, wenn wir unter Druck stehen oder langsamer, wenn wie entspannen.
Gelassenheit und Achtsamkeit
Gelassenheit gegenüber den Ereignissen und Achtsamkeit gegenüber Menschen und sich selbst sind Leitsätze, die einen Ausweg aus der Tretmühle und dem Grundrauschen von To-Do-Listen bieten. Einfach im Moment leben und den Kopf „aufräumen“. Denn unsere Welt zwingt uns, ständig zu urteilen, zu kategorisieren, einzuordnen und zu filtern. So können wir schnell Vorurteile gegenüber anderen und ein geringes Selbstwertgefühl uns selbst gegenüber entwickeln. Mehr Achtsamkeit führt dazu, diese Logik zu durchbrechen, dem Gegenüber wertfrei entgegenzutreten sowie nicht so hart zu sich selbst zu sein. Kein Mensch ist perfekt. Aber das Mikroskop, unter das wir unser eigenes Leben legen, zeigt all so winzige Fehler. Wie wäre es damit, den Fokus zu ändern und auf Weitsicht zu stellen?
Yoga und gesunde Distanz
Derjenige distanzierte Blick auf die Welt, der die Dinge erst einmal wahrnimmt, ohne sie zu bewerten, ist der Kern der Yoga-Philosophie. „Yoga ist der Stillstand der Bewegungen der Gedanken“, heißt es im Yoga Sutra 2. Das bedeutet einmal in sich zu kehren, den eigenen Gedanken nicht mit Intention zu folgen, sondern einmal zu horchen, was gerade in einem drin passiert. Die Einordnung und Sortierung dessen, worauf wir dabei stoßen, kann danach stattfinden. Der Moment der Einkehr bedeutet all das: das bewusste Abschalten von gesellschaftlichen Anforderungen, aufhören, alles ständig bewerten zu müssen und die Zeit als etwas zu sehen, wovon nie genug da ist. Dieser Moment des geistigen sowie des körperlichen Aufatmens kann Wunder für die geistige Balance wirken.
Achtsamkeit gegenüber sich selbst
Yoga vermittelt den Praktizierenden, Achtsamkeit in jeder Situation zu erlangen und so bewusst Entscheidungen zu treffen, bewusst Informationen aufzunehmen und bewusst Prioritäten zu setzen. Achtsamkeit bedeutet nämlich, die Kontrolle über den eigenen Geist zurückzugewinnen. So wird Ruhe, Gelassenheit und mentale Stabilität erzeugt. Wenn wir immer wieder in uns hineinhorchen, erkennen wir die Dinge, die wirklich wichtig für uns sind und wir können so von Dingen loslassen, die unwichtig oder sogar negativ für uns sind. Nur wenn wir uns selbst gut kennen, wissen wir was für uns gut ist. Im Yoga nennt sich dieser Zustand der Achtsamkeit und der Gelassenheit übrigens Viveka.
Yoga zur Entspannung
Doch auch Viveka braucht Routine, Wiederholung und vor allem den Willen, zur Ruhe zu kommen. Eine halbe Stunde am Tag nicht erreichbar sein und das Handy ausschalten, sollte in unserem Alltag möglich sein. Dann kann die Yoga-Praxis von Übungen für Muskeln, Atmung und Meditation ihre Wirkung entfalten. Durch gezielte Übungen kann das Gefühl für den eigenen Körper wieder hergestellt werden. Meditationsübungen und Atemtechniken helfen dabei, die Aufmerksamkeit nach innen, zum eigenen Geist zu lenken. Durch aufmerksames Nachfühlen kann jeder von uns herausfinden, was Körper, Seele und Geist für ihre Balance brauchen.
Workshop: Yoga zur Entspannung
Shine! Yoga Lindenthal bietet für das Erlernen von Achtsamkeit und Gelassenheit durch Yoga einen Workshop an. Am 11.09.2016 von 11:00 bis 14:00 Uhr lehrt Heike die Grundzüge des Yoga zur Entspannung. Wir bitten um eine verbindliche Anmeldungen über unsere Kontakt-Seite vorab.
Details zum Workshop „Achtsamkeit & Gelassenheit“
- Datum: 11. September 2016, Sonntag
- Uhrzeit: 11.00 bis 14.00 Uhr
- Ort: Shine! Yoga Studio
- Workshop-Leitung: Heike Molitor
- Kosten: 54 €/47 € für Shine! Yoga Mitglieder
- Verbindliche Anmeldungen: hier
Wir freuen uns, Euch im Shine! Yoga Studio bald zu sehen.
Weitere Workshops von Shine! Yoga im September und Oktober findet ihr HIER.